Die SPD-Seevetal hatte eingeladen, zu einer hochkarätigen Podiumsdiskussion - am Mittwoch, den 15. Juli 2009, um 18.00 Uhr, im Helbach-Haus, in Meckelfeld.
Ein voll besetzter Saal erwartete gespannt die Diskussionsrunde auf dem roten Sofa – trotz guten Wetters und Ferienzeit hatten sich ca. 60 Besucher versammelt, darunter Genossinnen und Genossen aus dem ganzen Landkreis sowie zahlreiche interessierte Bürger/innen der Gemeinde Seevetal; eine gute Mischung von Jung und Alt war hier vertreten.

Nach Eröffnung der Veranstaltung durch den Ortsvereinsvorsitzenden Andreas Rakowski stellte Sven Kreidelmeyer, stellvertretender Jusovorsitzender aus dem Landkreis Harburg, die geladenen Gäste auf dem Podium vor: unsere Bundestagsabgeordnete Monika Griefahn, die aus Berlin angereiste Juso-Bundesvorsitzende Franziska Drohsel, den Zeitzeugen Paul Neumann (MdB a. D.) und Marco Brunotte (MdL) vom Aktionsbündnis Langenhagen gegen Rechts sowie als Gastgeberin die Ortsbürgermeisterin von Meckelfeld, Brigitte Somfleth (MdL).

In ihrem Grußwort bezog Monika Griefahn Stellung und wies eindringlich darauf hin, dass heute mehr denn je insbesondere junge Leute angesprochen und bedrängt werden, um sie für rechtsextremes Gedankengut zu gewinnen. Als Antwort darauf ist bereits 2001 unter dem Motto „Wir dulden rechte Kräfte nicht länger“ die Aktion Gesicht zeigen gegründet worden.
Auf Bundesebene ist laut dem letzten Verfassungsschutzbericht von 2008 eine Steigerung auf 20.000 kriminelle Straftaten in der rechten Szene zu verzeichnen, darunter ca. 1.000 gewalttätige Ausschreitungen.
Daher sei es äußerst wichtig, hier entgegen zu wirken und verstärkt präventiv zu arbeiten, d. h., es müssten attraktive Alternativen, vor allem für junge Leute angeboten werden. Die SPD-Fraktion hat sich verstärkt dafür eingesetzt, die Förderung von Beratungsnetzwerken voranzutreiben, als Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus. In diesem Zusammenhang steht auch das Programm von 2007 „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“. „Darüber hinaus ist eine breite Bewegung in der Gesellschaft gefordert – Rechts darf keine Chance haben!“ bekräftigte Monika Griefahn.

Franziska Drohsel stellte die Position der Jusos vor und berichtete über aktuelle Vorfälle offener rechtsextremer Gewalt in Berlin und Hamburg.
Sie ging in ihrem Beitrag verstärkt auf die Ursachenforschung ein und stellte fest: „Es sind keine schichtenspezifischen Keimzellen auszumachen – reaktionäre und antisemitische Aktionen können überall auftreten und sie passieren täglich in unserer Gesellschaft.“
Die Ursachen für rechtsextremes Gedankengut seien breit gefächert und vielschichtig – es gebe vor allem keine gemeinsame Strategie dagegen. Vorrangiges Ziel sei es, unsere bestehende „multikulturelle“ Gesellschaft zu pflegen und gegen Angriffe von Rechts zu schützen.
Hier sei neben einer überzeugenden Stellungnahme seitens der etablierten Politik gegen Rechts auch die Zivilcourage eines jeden Einzelnen gefragt.
„Wir alle müssen ein gemeinsames Engagement dagegen aufbauen und öffentlich demonstrieren, dass Rechts außerhalb der Demokratie steht und keinen Platz in unserer Gesellschaft hat“, forderte Franziska Drohsel.

Als persönlich von der Nazi-Diktatur betroffener Zeitzeuge schilderte Paul Neumann die Aktivitäten seiner eigenen Familie, die auch zu mehrfachen Inhaftierungen von Familienmitgliedern geführt haben – während der Nazi-Zeit im KZ Lichtenburg, in Dachau und Auschwitz - und er erläuterte im Anschluss die Situation in der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 50-iger Jahre.
Seinen engagierten Einsatz als junger Mann veranschaulichte er mit einem Bericht über eine Kundgebung der Sozialistischen Reichspartei (SRP) - eine der Nachfolge-Organisationen der NSDAP - am 27. August 1950 in Winsen, deren Vorsitz der ehemalige Generalmajor Remer innehatte; dieser war auch für die Niederschlagung des Aufstandes der Offiziere am 20. Juli 1944 verantwortlich gewesen. Inmitten der großen Gruppe von Gegendemonstranten - darunter zahlreiche Frauen, die auf ihre Männer aus den Gefangenlagern warteten - erlebte er, wie die aufgestellten Polizeikräfte massiv gewalttätig vorgingen. Die friedlichen Demonstranten, junge Männer und Frauen, wurden brutal verprügelt, um die SRP-ler zu beschützen.
Selbst der damalige Landrat Helbach wurde von „seiner“ Polizei angegriffen. Der Kampf gegen die alten Nazi-Größen vor Ort hat auch danach noch angedauert; denn viele Landtagsgremien waren von der NPD durchsetzt und nicht nur von denen; sondern „sie“ saßen auch bereits wieder in führenden Positionen, wie Hans Globke - Herausgeber des Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen - als Staatsminister Konrad Adenauers, oder der spätere Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger. Man möge sich hier auch an den ehemaligen Ministerpräsidenten Filbinger (CDU) erinnern, der als Marine-Richter noch im Juni 1945 Todesurteile vollstreckte. „Damals waren die Rechten die Alten“, hob Paul Neumann hervor.

„Diese ganz persönlichen Schilderungen von unserem Alt-Genossen Paul Neuman aus Stelle haben uns alle auf eine besondere Weise berührt. Es ist ihm gelungen, vor dem Hintergrund rechtsextremer Strömungen in unserer Gesellschaft, einen Bogen von der Weimarer Republik bis in unsere junge Demokratie nach 1949 zu spannen“, so Andreas Rakowski in einem anschließenden Statement.

Marco Brunotte vertiefte die vorangegangenen Stellungnahmen aus seinem Blickwinkel als Experte im Strafvollzug von Jugendlichen, indem er betonte, dass angesichts der erheblichen Zunahme von politisch motivierten Straftaten aus der rechten Szene in den letzten Jahren, gerade auch im ländlichen Raum, die regierenden Politiker in Niedersachsen gefordert seien, endlich die Gefahr von Rechts als solche wahrzunehmen und sie dann auch wirksam zu bekämpfen.

„Hier tut massive Aufklärung in der Bevölkerung Not, damit nicht länger vorhandene latente rechte Strömungen in unserer Gesellschaft unter der Decke gehalten werden. Auch muss endlich mehr Geld investiert werden, um eine erfolgreiche präventive Arbeit leisten zu können – dies darf nicht allein auf den Schultern der Ehrenamtlichen lasten. Die hier zuständige, aber seinerzeit in Niedersachsen geschlossene Landeszentrale für politische Bildung muss wieder eingerichtet werden“, führte Marco Brunotte aus.
In Langenhagen habe die Kommune bereits 2001 beschlossen, „der öffentliche Raum gehört uns“, und ein Aktionsbündnis gegen Rechts gegründet. Diesem starken Engagment vor Ort gebührten großes Lob und Anerkennung.

Als Ortsbürgermeisterin erinnerte Brigitte Somfleth an die Vorkommnisse in Meckelfeld vor 18 Monaten, in deren Verlauf ein genehmigter Aufmarsch von Neonazis in Meckelfeld angekündigt worden war. Seinerzeit hatten sich Verwaltung, Politik, Polizei und die Kirchen von Seevetal gemeinsam dafür ausgesprochen, eine öffentliche Gegendemonstration nicht zuzulassen; die Bürger wurden aufgefordert, zuhause zu bleiben, um den Rechten kein öffentliches Forum zu bieten.

Diese Entscheidung hat zwar damals funktioniert - sie ist aber bis heute bei vielen offensichtlich umstritten; denn: dieses Thema nahm selbst jetzt noch breiten Raum in der daran anschließenden angeregten Diskussion ein, mit zahlreichen, auch kontroversen Wortmeldungen aus dem Plenum.
Keine leichte Aufgabe für den jungen Moderator Sven Kreidelmeyer; der aber insgesamt bei seinem Einstand eine gute Arbeit leistete – es ist ihm gelungen, diese Veranstaltung, angesichts einer derart brisanten Thematik, über ca. drei Stunden souverän zu leiten und zu einem erfolgreichen Ende zu führen.

Zusammenfassend lassen sich vier Kernforderungen an die zuständigen Mandatsträger herausstellen:

• auf Bundesebene gilt es, sich weiterhin für ein Verbot der NPD einzusetzen, damit zumindest deren Parteistrukturen von den demokratischen Kräften nicht auch noch öffentlich gefördert und finanziert werden;
• in den Kommunen sollte der Blick verstärkt auf die Unterstützung präventiver Arbeit vor Ort gelenkt werden, um insbesondere der Gefährdung Jugendlicher wirksam entgegen treten zu können;
• die Landtagsfraktionen sind gefordert, die niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung umgehend wieder einzurichten, damit auch vor Ort der Zugang zu politischer Bildung für alle gewährleistet werden kann;
• generell müssen sich die demokratischen Kräfte parteiübergreifend gegen Rechts verbünden und somit gleichzeitig die potentiellen Opfer vor rechtsextremen Gewaltübergriffen in unserer Gesellschaft schützen.

Darüber hinaus gilt die Prämisse, es gibt keine Patentlösungen – die Strukturen für die Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut haben sich gewandelt, die Zuordnung und die Übergänge sind fließend – d. h. aber auch, dass Rechtsextremismus überall in unserer Gesellschaft entstehen kann, wenn u. a. Perspektivlosigkeit, Ausgrenzung und Resignation überwiegen.

„Ganz wichtig ist die Aufklärung in der Bevölkerung und die Präventionsarbeit, vor allem mit Jugendlichen, in Schulen, Sport- und Freizeit-Einrichtungen; hier sollten verstärkt die Kräfte gebündelt und großer finanzieller Einsatz geleistet werden“, proklamierte in diesem Zusammenhang ein Veranstaltungsteilnehmer.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass die vielschichtigen Problemfelder im Bereich Rechtsextremismus an diesem Abend lediglich haben angerissen werden können – auch bedarf es mit Sicherheit tiefer gehender Analysen aller Aspekte – dennoch, es konnten auf jeden Fall wichtige Anregungen gegeben werden, sich weiterhin mit der Thematik auseinander zu setzen und offen zu bleiben für die Anzeichen rechtsextremer Gefährdungen in unserer Gesellschaft.

„Wir danken allen Beteiligten für diese äußerst engagiert geführte Diskussionsrunde“, so Andreas Rakowski, „als SPD werden wir an diesem Thema dranbleiben und uns auch künftig dafür einsetzen, dass gute Bildung für alle, soziale Gerechtigkeit und die Wahrung der Demokratie im Zentrum unserer politischen Arbeit stehen.“

Fotos von der Veranstaltung finden Sie hier: