Die Situation der kommunalen Gesundheitsversorgung stellte die Winsener SPD in den Mittelpunkt ihres 1. „Winsener Stadtgesprächs“. Mit dem Stadtgespräch soll ein Forum geschaffen werden, um mit Experten Informationen auszutauschen und Gespräche insbesondere zu kommunalen Themen zu führen, die viele Menschen bewegen und die umfassendes Engagement und Mitarbeit erfordern, um neue Wege und Lösungen zu erreichen.

So konnte der Ortsvereinsvorsitzende Norbert Rath (55) im gut gefüllten Winsener Marstall neben den circa 50 Gästen die Referenten Prof. Dr. Gerd Glaeske (65) (Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen - Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung), Dr. Markus Jaeger-Rosiny (Hausarzt und Palliativmediziner vom Hausärztezentrum Winsen), Ingrid Sobottka-Wermke (Superintendentin des ev. Kirchenkreises Winsen) und Nikolaus Lemberg (Geschäftsführer Interessengemeinschaft e.V. – ambulante Pflege Salzhausen/Winsen) begrüßen.

Prof. Glaeske kritisierte in seinem Vortrag vor allem die zunehmende Belastung der Versicherten. Er machte deutlich, dass es im Gesundheitssystem keine Kostenexplosion sondern ein Einnahmeproblem gebe, das aber nicht nur durch die steigende Belastung von Versicherten und Patienten gelöst werden dürfe. Einkommensunabhängige Zusatzbeiträge würden diese künftig erheblich mehrbelasten. Gesetzlich Versicherte würden zudem die Zusatzbeiträge alleine finanzieren. Eine Beteiligung der Arbeitgeber daran ist nicht vorgesehen. Deren Anteil sei weitgehend festgeschrieben. „Diese Entwicklung führt zur Entsolidarisierung des Gesundheitssystems“, so Prof. Glaeske „und ist der Beginn des Prämiensystems, der sog. Kopfpauschale.“ Besonders die Tatsache, dass Geringverdiender in so einem System zu Bittstellern werden, spreche deutlich gegen den Systemwandel. „Ein Ausgleich aus Steuermitteln für diejenigen, die die Zusatzbeiträge nicht leisten können, ist nicht finanzierbar. Der Ausgleich würde jährlich 35 – 40 Mrd. Euro umfassen. Wo soll das Geld herkommen?“, fragt Glaeske.

Die Gefahr sei, dass sich in Zukunft (ab 2011) durch einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag (hin zur Gesundheitsprämie) eine einkommensabhängige medizinische Versorgung ergebe, weil die finanzielle Belastung insgesamt für die Versicherten ansteigen werde – und nicht alle dies bezahlen könnten (Zwei-Klassen-Medizin). Und das, obwohl das deutsche Gesundheitssystem in seiner derzeitigen Konstruktion nachwievor weltweit zu den leistungsfähigsten Systemen gehöre! Solidarität und damit sozialer Ausgleich sowie die notwendigen erforderlichen Gesundheitsleistungen für alle seien Grundprinzipen unseres Gesundheitssystems. Künftig sei es mehr denn je erforderlich, Nutzen und Effizienz vor allem der Versorgungsstrukturen vor Ort und in der Region zu verbessern und damit den anerkannt hohen Standard der Gesundheitsversorgung in Deutschland auch bei einer immer älter werdenden Bevölkerrung zu halten. „Eine besonders zukunftsfähige Lösung“, so Glaeske, „können regionale Strukturen und Systeme sein, in denen Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser und die Pflege, mit einem gemeinsamen Blick auf die regional bereitstehenden finanziellen Mittel, besser organisiert zusammenarbeiten.“

„Mit den Aufgaben zur Organisation einer verbesserten Zusammenarbeit beschäftigen sich die Winsener Hausärzte bereits“, so Dr. Jaeger-Rosiny. Erste wichtige Schritte seien bereits mit der Gründung des Ärztenetzes ELAN (Elbe-Luhe-Nordheide) gemacht worden. Allerdings sei die Entwicklung gerade bei der hausärztlichen Versorgung kritisch. Im Landkreis Harburg seien bereits 20 Hausarztstellen unbesetzt und auch in Winsen verschlechtere sich die Situation weiter. Konsequenz sei auch eine steigende Patientenzahl je Hausarzt und zunehmend weniger Zeit im Umgang mit den Patienten. Zusätzlicher bürokratischer Aufwand erschwere zudem noch die ausreichende Beratung insbesondere von chronisch kranken Patienten.

In der ambulanten Pflege würde ebenfalls der Beratungsbedarf von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen ständig zunehmen, machte Nikolaus Lemberg deutlich. Hier könnten gemeinsame Beratungsstellen wie Pflegestützpunkte helfen und unterstützen. „Nur ein Standort, der anscheinend als SeniorenServiceCenter für den gesamten Landkreis geplant ist, wird jedoch bei weitem nicht ausreichen“, so Lemberg. Er krisitiserte dabei auch die zögerliche Umsetzung der Pflegestützpunkte durch die niedersächsische Landesregierung. Der verstärkt erforderliche Einsatz von Anghörigen und ehrenamtlichen Helfern mache umfangreiche Beratung wird immer wichtiger.

Ingrid Sobottka-Wermke forderte auch aus ethischer Sicht und Verantwortung, dass der gleiche Zugang für alle Menschen zu den gleichen Leistungen in der Gesundheitsversorgung bestehen bleiben müsse und krisisierte die Pläne des Bundesgesundheitsministers: „Es wäre künftig schon ein zynischer Umgang mit den Patienten und Bürgern, wenn sie nur noch die Leistungen bekommen sollten, die sie sich auch leisten können, anstatt die medizinisch notwendigen Leistungen, die sie tatsächlich benötigen.“

Prof. Glaeske betonte nochmals die Bedeutung und Chance von regionalen Netzwerken, die zu einer besseren medizinischen Versorgung und damit zu zufriedeneren Personen im Gesundheitswesen führen würden. „Dadurch steigt die Berufszufriedenheit der im Gesundheitswesen Tätigen erheblich an“, so Glaeske. Er ergänzte dieses mit der Forderung, die regionalen Netze mit mehr Eigenverantwortung und auch eigenen Budgets auszustatten. Dr. Jaeger-Rosiny stellte abschließend in Übereinstimmung mit allen Gesprächsteilnehmern fest, dass die Idee der sektorübergreifenden und regionalisierten Zusammenarbeit im Ansatz interessant ist, und nannte als ersten bereits vollzogenen Schritt die notärztliche Versorung in Winsen, die nach diesem Vorbild organisiert ist. „In bestimmten Bereichen ist dieses Modell denkbar, aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen“, so Jaeger-Rosiny.

Der Verlauf dieses ersten Stadtgespräches zeige, dass „mehr miteinander reden“ auch schwierige Themen in Bewegung setzen könne. „Die Winsener SPD werde weitere Veranstaltungen zum Thema initiieren und zunächst die Kostenträger des Gesundheitswesens aus Krankenkassen und Kommune und dann in einem weiteren Schritt Patientenvertreter und Verbraucherschützer einladen“, so Rath abschließend.