Gemischte Erfahrungen mit Homeoffice in der Corona-Zeit
Am 06. Juli 2022 lud Steffi Menge, Landtagskandidatin der SPD für den Wahlkreis 52 im Landkreis Harburg, zu einer Diskussionsveranstaltung in den Kulturbahnhof Holm-Seppensen ein.
Steffi Menge ist als Lehrerin mit der Arbeit zu Hause seit langem bestens vertraut. „Aber sogar in so einer Ausgangslage war es bemerkenswert“, sagt sie zum Thema Homeoffice, „welche Veränderungen damit einhergehen, wenn plötzlich alles von zu Hause aus und alles auch digital kommuniziert werden muss, weil man sich nicht mehr persönlich treffen kann.“ Steffi Menge hatte auf ihr Podium drei Expertinnen aus dem Landkreis Harburg eingeladen: Andrea Kowalewski ist Projektleiterin von Frau und Wirtschaft in Winsen. Die Unternehmerin Sabrina Meincke führt einen Brautmodensalon in Buchholz und leitet ein Unternehmerinnen-Netzwerk. Die Gewerkschafterin Hannelore Buls aus Neu Wulmstorf war viele Jahre als Frauen- und Sozialpolitikerin auf der Bundesebene tätig und ist nun unter anderem Mitglied im Gemeinderat.
Corona-Bedingungen führen zur Retraditionalisierung von Sorgearbeit in der Familie
Steffi Menge will mit ihrer politischen Arbeit an diesem aktuellen Thema die Aufmerksamkeit darauf richten, dass es nicht genügt, digitale Veränderungen einfach nur zuzulassen. Sie will sich als Landespolitikerin dafür einsetzen, dass die Rechte von Frauen im Zusammenspiel von Beruf und Familie gestärkt werden: „Das Bild des Brennglases, das die Corona-Zeit auf unsere Gesellschaft gerichtet hat, ist sehr zutreffend. Auf einmal können wir nicht nur erkennen, wo es beispielsweise bei der häuslichen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern immer noch hakt. Es wird erfreulicherweise auch deutlich, in welche Richtung die Politik arbeiten muss, damit die gesellschaftlichen Kosten nicht „mal wieder“ bei den Frauen abgeladen werden.“ Sie wurde mit dieser These von Hannelore Buls unterstützt, die Zahlen aus dem Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zitierte: „Die Ungleichverteilung der Sorgearbeit hat in der Corona-Zeit zugenommen. Zwar haben auch Männer im Durchschnitt 0,6 Stunden in der Woche mehr für die Sorgearbeit aufgewendet als bisher. Aber bei Frauen waren das eben 1,7 Stunden. Die schon vorhandene Ungleichverteilung hat also zugenommen.“ Eine wirkliche Entlastung von Frauen finde erst statt, wenn sich auch die beruflichen Verhältnisse umkehren, also der Mann überwiegend zu Hause arbeitet und die Frau im Betrieb ist. Auch Andrea Kowalewski berichtet aus ihrer Beratungspraxis, dass das westdeutsche Familien-Modell immer noch auf die Konstruktion „Mann Hauptverdiener, Frau Zuverdienerin in Teilzeit oder Minijob“ setzt. Sabrina Meincke weiß von ihren jüngeren Kolleginnen, dass sich bei jüngeren Paaren die Haltung geändert hat, die Hausarbeit mehrheitlich geteilt werde. Aber alle Gesprächsteilnehmerinnen können aus ihrem jeweiligen Umfeld bestätigen, dass dies beim ersten Kind wegen der Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen wieder zu mehr traditioneller Arbeitsaufteilung in der Familie führt. Hannelore Buls verweist auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die geändert werden müssen. Das Elterngeld-plus habe schon Verbesserungen gebracht, aber: „Die Kombination der Steuerklasse drei für den Hauptverdiener mit dem Minijob für die Frau führt bei geringen bis mittleren Einkommen zu einem unschlagbaren Zuwachs an Netto-Einkommen bei geringem Zuverdienst der Frau. Das Paar müsste sich entgegen dieser finanziellen Anreizwirkung für eine andere Arbeitsaufteilung untereinander entscheiden.“ Das könne man gerade in unteren Einkommenssegment nicht erwarten, weil hier jeder Euro zählt. Auch aus dem Publikum wird bestätigt, dass die Politik an dieser Stelle eine neue Zielrichtung in den Blick nehmen müsse. Andrea Kowalewski führt Studien zu den skandinavischen Modellen an, die beweisen, wie weit Deutschland in der geschlechtergerechten Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern noch entfernt sei. Steffi Menge will sich im niedersächsischen Landtag dafür einsetzen, dass diese Debatte vorankommt.
Digitalisierung macht vieles möglich, schreibt aber auch prekäre Arbeitsverhältnisse fort
In der Corona-Zeit war Homeoffice für fast alle Beteiligten eine gute Sache. Kontakte konnten vermieden werden, während die Arbeit trotzdem vorankam. Erstaunlich fanden alle Gesprächsteilnehmerinnen, wie schnell und wie relativ unkompliziert es plötzlich möglich war, Arbeit nach Hause zu verlagern, wo Firmenchefs früher oft Barrieren aufbauten. Die Firmen konnten so ihre Arbeit weiter erledigen lassen. Andrea Kowalewski gab zu bedenken, dass gute betriebliche Regelungen wichtig sind. Die Arbeitsbedingungen zu Hause können aber durchaus bedenklich sein, wenn die Wohnverhältnisse es eigentlich nicht zulassen. Viele Frauen begrüßten das Homeoffice trotzdem, selbst wenn sie am Küchentisch arbeiten müssen, weil ihnen damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unter den Corona-Bedingungen vordergründig erleichtert wurde. Schnell wurde aber auch deutlich, so beschrieb Hannelore Buls weitere Erkenntnisse aus dem Gleichstellungsbericht, dass ihre Belastungen steigen, wenn alle plötzlich zu Hause arbeiten, auch die Kinder. Auf der anderen Seite hatten viele Beschäftigte aus den sogenannten systemrelevanten Bereichen gar nicht erst die Möglichkeit, ins Homeoffice zu geben. Sie blieben der gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt, mussten aber im Betrieb und zu Hause vieles ersetzen, was die Familien durch das Herunterfahren der institutionellen Einrichtungen belastete. Hier sei beispielsweise auch an die Schließung der Tagespflege für pflegebedürftige Angehörige zu denken. „Die Verteilung der Chancen, Grenzen und Risiken war also recht unterschiedlich verteilt“, fasste Steffi Menge die Debatte zusammen. Es sei auch zu bedenken, ergänzte Sabrina Meincke, dass die Digitalisierung zum Teil die eine prekäre Beschäftigung durch eine andere prekäre ersetzt, was nicht im Sinne der Unternehmerinnen sei. Hannelore Buls zitierte aus dem Gleichstellungsbericht, dass es beispielsweise bei den neuen Lieferdiensten viel Scheinselbstständigkeit gibt, wo oft kein Geld übrig ist, um die Sozialversicherung abzudecken. Erwähnt, aber aus Zeitgründen nicht zu Ende diskutiert wurde die Erkenntnis, dass das Gewaltpotential in den Familien durch die erzwungene Enge zugenommen habe. Das sei beispielsweise am Verhalten der Schul- und Kindergartenkinder nun abzulesen, da sie wieder in ihre Schulen oder Kitas gehen und von Fachkräften betreut werden können, weiß die Fachfrau Steffi Menge. Viele Firmen kehren jetzt in die Präsenzpflicht zurück. Aber es ist allgemein klar, dass der Digitalisierungsschub, der mit der Corona-Zeit einherging, nicht vollständig zurückgedreht werden wird. Vieles bleibt erhalten. „Es ist also eine Frage auch für die Politik“, weiß Steffi Menge, „was erhaltenswert ist und was auch wieder anders, vielleicht auch neu zu gestalten wäre.“ Sie will in der Politik hierzu am Ball bleiben.