„Dass in Niedersachsen jetzt die inklusive Beschulung in die Wege geleitet werden kann, ist im Hinblick auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen eine absolute Notwendigkeit“, sagen die SPD-Landtagsabgeordneten aus dem Landkreis Harburg, Silva Seeler und Brigitte Somfleth. Nach intensiven Verhandlungen im Kultusausschuss des Landtages haben sich SPD und die CDU/FDP-Regierungskoalition auf einen tragfähigen Kompromiss geeinigt.

Der verabschiedete Gesetzentwurf enthält die rechtliche Basis für den Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen an allgemeinen Schulen – so wie es jedem anderen Kind auch zusteht. „Das ist insofern ein historischer Schritt, weil es bislang als richtig galt, Kinder mit Behinderungen an Förderschulen zu unterrichten, sie also sozusagen auszugliedern“, so Seeler, die als Mitglied im Kultusausschuss maßgeblich an der Umsetzung der Inklusion im Schulwesen mitgewirkt hat. Mit dem Inklusionsgesetz folgt Niedersachsen der bereits 2009 von der Bundesrepublik unterschriebenen UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in der unter anderem der Rechtsanspruch auf inklusive Bildung verankert ist.
„Inklusion ist ein Menschenrecht und geht viel weiter als Integration“, erläutert Brigitte Somfleth. „Sie bedeutet selbstverständliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen gesellschaftlichen Prozessen.“ Deshalb strebte die SPD konsequent nach einer überparteilichen Umsetzung. „Das sind wir den betroffenen Kindern und ihren Eltern schuldig und darum hatten auch alle Verbände und der Landeselternrat gebeten“, sagt Somfleth. Kern des Gesetzes ist das Recht der Eltern, für ihre Kinder eine Schulform zu wählen. „Mit der Zeit sollen alle Schulen in Niedersachsen offen für Kinder mit und ohne Behinderung werden“, sagt Silva Seeler. Das gehe über bisherige Integrationsprojekte im Landkreis Harburg weit hinaus.
„Wir Sozialdemokraten haben vor allem gegen einen Passus im Entwurf gekämpft, der ein Unterlaufen der elterlichen Wahlentscheidung ermöglicht hätte“, so die Buchholzer Bildungspolitikerin. „Weil CDU und FDP auf einer Abschulungsregelung bestanden, gibt es nun einen Kompromiss, demzufolge eine Abschulung nur unter der Voraussetzung einer Kindeswohlgefährdung bzw. einer Gefährdung von Mitschülerinnen und Mitschülern möglich ist.“ Das sei eine hohe Hürde, mit der man leben könne und die in der Praxis erprobt werden müsse, heißt es aus SPD-Reihen. Jedenfalls wollte man aufgrund dessen nicht das Inklusionsgesetz scheitern lassen.
Maßnahmen zur Umsetzung der Inklusion an den Grundschulen können bereits mit dem kommenden Schuljahr aufsteigend ab Klasse 1 starten, verbindlich jedoch ab dem Schuljahr 2013/14 und an den weiterführenden Schulen ebenfalls ab dem Schuljahr 2013/14 beginnend mit Klasse 5. Die Umstrukturierung soll bis 2018 schrittweise erfolgen und in diesem Zeitraum auch immer wieder überprüft werden.
Zwar soll es weiterhin auch Förderschulen geben. Alle Grundschulen werden aber inklusive Schulen für die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung. Für die beiden letztgenannten Schwerpunkte haben die Eltern ein Wahlrecht für ihre Kinder. „Um Ausgrenzung zu beenden, wollen wir die normalen Schulen in die Lage versetzen, alle Kinder in ihrem gewohnten Umfeld angemessen zu fördern“, erklärt Seeler. Dass den Schulen die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden müssten, sei selbstverständlich.
„Die große Herausforderung der Umsetzung liegt jetzt also vor uns“, sagt Silva Seeler. „Ich hoffe sehr, dass allen Betroffenen und Verantwortlichen der Inklusionsgedanke ähnlich am Herzen liegt wie mir und dass Niedersachsens Schulen mit Herz und Verstand dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderungen endlich die gesellschaftliche Teilhabe genießen können, die ihnen zusteht – rechtlich, aber vor allem menschlich.“